Hallo liebe nordbahn-Fahrgäste!
Auch die nordbahn sucht Lokführerinnen und Lokführer und weil die nun einmal nicht vom Himmel fallen, bilden wir selbst aus. Wer über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und auch sonst gesundheitlich und psychologisch geeignet ist, kann den Beruf bei uns erlernen. Das tat auch ich vor ein paar Jahren und bin inzwischen, wie eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen ebenfalls, Praxisausbilder bei der nordbahn. Heute erzähle ich Ihnen, was meine Azubis und ich dabei erleben.
Nach der rund halbjährlichen theoretischen Ausbildung kommt irgendwann der große Tag: Zum ersten Mal einen Zug fahren! Zwar werden die ersten Grundlagen am Simulator vermittelt, aber danach geht es in den echten Führerstand. Unsere Azubis sind Quereinsteigerinnen und -einsteiger, die alle bereits Lebenserfahrung haben, aber dennoch sind die ersten Tage und Wochen im echten Betrieb für fast alle sehr herausfordernd. Dabei geht es ganz entspannt los: Den Sitz richtig einstellen, Absprachen treffen und noch einmal die wichtigsten Schalter, Knöpfe, Displays und Hebel durchgehen. Ich nehme dabei auf einem Klappsitz direkt neben dem neuen Kollegen Platz. Von hier aus beobachte ich die Strecke und die Signale, kann alle Instrumente einsehen und jederzeit in die Handlungen des Kollegen eingreifen. Das weiß natürlich auch der Azubi, aber wenn dann wirklich der Zeiger auf die Abfahrtszeit springt, bricht dennoch der Schweiß aus. Es ist nämlich ein großer Unterschied, Dinge in der Theorie zu beherrschen und sie dann in der Praxis umzusetzen.
Das liegt vor allem daran, dass viele Handgriffe gleichzeitig ausgeführt werden müssen und das muss das Gehirn erst trainieren (außer man ist vielleicht Schlagzeuger in einer Band!).
Ein Beispiel: Wenn ein Zug auf ein rotes Signal zufährt, muss die Geschwindigkeit in einem vorgeschriebenen Zeitrahmen (zum Beispiel 23 Sekunden) und innerhalb einer bestimmten Strecke (zum Beispiel 153 Metern) auf bestimmte Geschwindigkeiten reduziert werden. Zugleich muss man die Wahrnehmung des Signals binnen drei Sekunden mit einem Taster bestätigen, man darf nicht vergessen, mindestens alle dreißig Sekunden ein Fußpedal zu bedienen (um sicherzustellen, dass man noch bei Bewusstsein und handlungsfähig ist), man muss die Geschwindigkeit und die Annäherung an das rote Signal beobachten und zugleich möglichst dennoch so sanft abbremsen, dass Sie sich im Zug wohlfühlen, aber auch nicht zu langsam, weil das ja Verspätung einbringt.
Das klingt nicht nur kompliziert, sondern ist es zu Anfang auch und gelingt in den ersten Wochen kaum. Meine Herangehensweise als Ausbilder ist es aber, den Neuen zu Beginn Erfolgserlebnisse zu vermitteln. Ich möchte, dass sie nach Hause gehen und mit leuchtenden Augen von ihrem ersten Tag berichten. Dafür greife ich zu Anfang häufig ein und unterstütze bei den Bedienhandlungen.
Mit der Zeit aber müssen die Handgriffe natürlich sitzen. Den Lernfortschritt mache ich, lachen Sie nicht, an zwei Merkmalen fest: Erstens: Ist meine neue Kollegin oder mein neuer Kollege in einer Stressphase imstande, mir zuzuhören und eine Frage zu beantworten? Das sollte doch wohl selbstverständlich sein, denken Sie? Nein, ist es nicht. Und der zweite Faktor, an dem ich den Stresspegel ablesen kann, ist die Häufigkeit, mit der der Nachwuchs das Fußpedal betätigt, die sogenannte Sicherheitsfahrschaltung (Ihnen vielleicht als „Totmannknopf“ bekannt): Spätestens nach dreißig Sekunden muss es bedient werden. Hämmert der oder die Neue aber im Stakkato mit dem Fuß aufs Pedal, dann weiß ich als Ausbilder: Da ist jemand gerade extrem im Stress!
Und es gibt so viele Dinge, die Stress bereiten können! Die vielen Signale und ihre Bedeutung. Unbekannte Gleise in großen Bahnhöfen, die man noch nie zuvor befahren hat. Umleitungen über Strecken, die man noch nicht gut kennt. Störungen am Zug, an der Strecke, an Signalen und Bahnübergängen und die Herausforderung, sich dann daran zu erinnern, was man für solche Fälle gelernt hat. Das hohe Tempo unserer Züge und die langen Bremswege sind auch nicht ohne und es ist in der Lernphase unglaublich schwierig, den Zug genau dort am Bahnsteig zum Stehen zu bringen, wo er stehen soll.
Die Praxisausbildung dauert rund drei Monate. Die neuen Kolleginnen und Kollegen fahren in dieser Zeit nach meinem Schichtplan, bekommen also auch schon alle Zulagen zum Beispiel für Nachtdienste oder Wochenenden und im besten Fall passieren in dieser Zeit möglichst viele Unregelmäßigkeiten. Denn es ist gut, wenn man als Neuer oder Neue dann jemanden an der Seite hat, der unterstützt. Noch aufregender ist die Prüfungsfahrt und natürlich der Tag, an dem man wirklich ganz, ganz alleine dort vorne sitzt.
Nach der Ausbildung wissen Ihre Lokführerinnen und Lokführer hier bei der nordbahn genau, worauf es ankommt. Aber wenn doch mal eine Bremsung etwas unsanft ist, dann denken Sie bitte daran: So wie Lokführerinnen und Lokführer nicht vom Himmel fallen, so fallen auch keine Meisterinnen und Meister vom Himmel.
Ihnen eine gute Fahrt!
Ihr Lokführer Gordon