Im Schutz der Dunkelheit
„Graffiti an Bahnen und Bahninfrastruktur nahm dieses Jahr wieder zu“, bestätigt der Ermittlungsdienst der Bundespolizeiinspektion Flensburg unsere Anfrage. Die Bundespolizei ist für die Verfolgung von Graffiti im Umfeld der Bahn zuständig. In Flensburg laufen auch die Fälle der besonders betroffenen nordbahn-Strecken zwischen Hamburg und Itzehoe und Wrist zusammen.
Meist geschieht es nachts in den Abstellanlagen. Die Aufklärungsquote war schon immer unbefriedigend, die Beweislage ist schwierig. Denn für eine rechtskräftige Verurteilung müssten die sorgfältig vermummten Täter quasi „mit der Dose in der Hand“ gestellt werden. Wen es erwischt, dem droht erheblicher Ärger: Vorbestrafung und Übernahme der Entfernungskosten, die leicht mehrere Tausend Euro betragen.
Ein klares Täterprofil gibt es nicht. „Vom Teenie bis zum 40-jährigen Familienvater war schon alles dabei“.
Die Story mit der Street Culture
Die Täter nennen sich Writer, verbünden sich zu Crews und haben für überhaupt alles, was sie tun, englische Fachbegriffe. Graffiti (ob legales oder illegales) hat seine Wurzeln schließlich in den USA, und man versteht sich als Nachfahre dieser unangepassten kreativen Street Culture der frühen 1980er Jahre. Als visueller Ausdruck des Hip Hop.
Dieses Erbe gibt auch dem illegalen und mitunter wenig kunstfertigen Treiben einen Anstrich von Kultur und zivilem Ungehorsam und wohl auch ein Gefühl, moralisch legitim zu handeln. Die Medien verbreiten diese schmeichelhafte Eigenwahrnehmung der Szene oft ohne große Distanzierung. Bei Spiegel Online schwärmt der berühmte Graffitipionier Mathias Köhler (aka Loomit) von einer erfüllten rebellischen Jugend an der Sprühdose und erklärt, warum ein gewisser kollateraler Sachschaden nun mal beim Graffiti dazugehöre – leider geil, Pech gehabt.
Da staunen wir aber nicht schlecht. Sachbeschädigung – das klingt ja auf einmal fast ein bisschen kleinkariert.
Weniger cool: Das Saubermachen
Die Rollen des Graffitispiels werden somit klar diktiert: Die Einen (die Writer) bekommen den ganzen Fame in der Szene und die Likes auf Instagram, und die Anderen (irgendwelche Opfer halt) müssen eben ein bisschen saubermachen, wenn sie die Bilder stören.
Und das tun wir. „Nicht nur, weil wir unseren Kunden saubere Züge bieten wollen, versuchen wir, die Reinigung immer am nächsten Werktag zu schaffen“, erklärt Christoph Engel, Leiter Technik bei der nordbahn. Das schnelle Vorgehen hat weitere Aspekte: Zum einen überdecken die Bilder oft mehrere Fenster und schränken die Nutzung der Züge erheblich ein. Zum anderen hat das „Trainbombing“ in Sprayerkreisen eine besonders hohe Durchschlagskraft, wenn die Bilder lange gesehen werden. Schnelles Löschen soll die Dynamik des Wettsprühens also etwas einbremsen – theoretisch zumindest. Im Übrigen sind wir auch durch den Verkehrsvertrag verpflichtet, Graffitis umgehend zu entfernen.
„Zwar haben unsere Züge eine Anti-Graffiti-Beschichtung, um die Farbe besser abzubekommen“, so Engel, „aber um den Einsatz von scharfer Chemie kommen wir nicht herum“. Und das ist nicht nur umweltbelastend sondern schädigt bei wiederholter Reinigung irgendwann die Fahrzeuglackierung, -beschriftungen und Fensterdichtungen. Zu den Reinigungskosten von über einer Viertelmillion Euro jährlich kommen also noch die Kosten für die Beseitigung solcher Spätschäden – vom Aufwand für Prävention und für die laufende Umdisposition in Betrieb und Technik ganz zu schweigen.
Wer zahlt‘s?
Ist Vandalismus in und an Zügen eigentlich nur für die geschädigten Verkehrsunternehmen ein finanzielles Problem? Zunächst ja. Denn in einem laufenden Vertrag sind alle Reinigungs- und Instandhaltungskosten in der Regel das Risiko des Betreibers. „In den letzten drei Jahren zahlen wir für die Graffitientfernung und unsere Präventionsbemühungen leider kräftig drauf“, stellt Geschäftsführer Simon Kuge fest. Tendenz: Zunehmend! „Langfristig sorgen die Anbieter im Ausschreibungswettbewerb dafür, dass sie auf dieser Kostenentwicklung nicht sitzenbleiben und kalkulieren entsprechend.“ Auf diesem Weg zahlt die ganze Gesellschaft für Graffiti – über höhere Fahrpreise und eine größere Belastung der öffentlichen Kassen.
Was hilft außer Chemie?
Illegale Graffitis haben seit ihrem Auftauchen zu einem wahren Wettrüsten von Sprayern und Betroffenen geführt. Farben, Reinigungsmittel, Bewachungstechnik und die Ausrüstung von Jägern und Gejagten haben sich evolutionär entwickelt. Das Problem besteht unverändert. Zu gestiegenen Kosten auf allen Seiten.
Selbst die ruinösen Summen, die auf einen überführten Täter zukommen können, schrecken zu wenig ab. Alle pädagogischen oder moralischen Appelle und öffentliche Anti-Graffiti-Kampagnen, einschließlich der Hinweise auf die großen Gefahren, denen sich Sprayer auf dem Bahngelände aussetzen, liefen absehbar ins Leere. Make Love, not Graffiti? Na gut, dann eben nicht.
Doch was können wir tun? Positiv verliefen viele Projekte, wo legales Graffiti präventiv gegen illegales eingesetzt wurde. Denn ist eine Fläche mit Graffitikunst belegt, wird dies in der Szene meist respektiert und nicht übergesprüht. Auch die nordbahn hat schon Gebäude mit dem Hamburger Graffiti-Künstler Looney Lobster auf diese Weise verschönert und zugleich geschützt.
Nur ist solches Vorgehen unmöglich auf unseren gesamten Fuhrpark übertragbar. Für Kunstprojekte auf einzelnen Wagen oder auf Ausweichflächen wäre die nordbahn jedenfalls offen.
Aber entspricht das der Mentalität der Szene? Ist ein Abrüsten und konstruktiver Dialog mit dem Graffitiszene-Selbstbild vereinbar? Schön wär’s. Wir danken für Vorschläge.