Fahrtvorbereitungen Doyen
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Was macht der da vorne so lange?

Die Eisenbahn ist oft ein Buch mit sieben Siegeln. Manches ist auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar oder bleibt hinter den Kulissen verborgen. Unser Lokführer Gordon Doyen, möchte Ihnen in dieser Serie den Alltag bei der Bahn näherbringen.

Hallo liebe nordbahn-Fahrgäste!

Der Zug ist verspätet aus der vorherigen Fahrt angekommen und sollte bereits wieder für Sie abgefahren sein. Ihre Lokführerin oder Ihr Lokführer eilt vom einen zum anderen Führerstand. Nun geht es also los, denken Sie – aber nichts tut sich. Warum nicht? Isst der erst noch sein Pausenbrot?

Keineswegs. Denn anders als Sie es vom Auto kennen, genügt es bei der Eisenbahn nicht, den Zündschlüssel zu drehen, um losfahren zu können. Dabei haben wir durchaus einen Schlüssel! Und das ist stets der erste Handgriff, wenn wir im Führerstand ankommen: Schlüssel einstecken und drehen. Damit aktivieren wir unseren Führerstand und die Software des Zuges erkennt nun, wo jetzt vorne ist. Während die Displays hochfahren, nutzen wir die Zeit für die Vorbereitungen – und fast alle davon sind für die Sicherheit von entscheidender Bedeutung.

Damit man unsere Zugfahrt im europäischen Eisenbahnnetz eindeutig erkennt und die Betriebszentrale der DB, aber auch die Leitstelle der nordbahn und die Stellwerke an der Strecke und in den Bahnhöfen mit uns kommunizieren können, melden wir die Zugfahrt mit Zugnummer  über das Zugfunkgerät an. Das ist heutzutage ein modernes Zugfunkgerät in einem speziellen  Mobilfunknetz namens GSM-R. GSM-R steht für  Global System for Mobile Communications – Rail und ist ein digitales Mobilfunksystem, das auf dem weit verbreiteten Mobilfunkstandard GSM aufbaut, jedoch für die Verwendung bei den Eisenbahnen erweitert wurde. Als nächstes laden wir auf einem Monitor den Fahrplan für unsere Zugfahrt. Sie denken vielleicht, dass wir doch wohl unseren Fahrplan kennen sollten. Tatsächlich aber sieht unser Fahrplan im Führerstand deutlich anders aus als der, nach dem Sie Ihre Reisen mit uns planen. Unser Fahrplan beeinhaltet zahlreiche wichtige Informationen zur Strecke und zu den Bahnhöfen. Wir sehen unter anderem, wann wir wo welches Signal zu erwarten haben, aber auch, wie viel Strom wir an verschiedenen Stellen maximal aus der Oberleitung „ziehen“ dürfen – das ist wichtig, um zu wissen, wie schnell und stark wir maximal beschleunigen dürfen. Wir erkennen auch zulässige Höchstgeschwindigkeiten, fast metergenau.

Denn anders als im Straßenverkehr, wo viele von uns es manchmal nicht so genau mit dem erlaubten Tempo nehmen, darf dies bei der Bahn auf keinen Fall passieren und kann zu schweren Unfällen führen. Unsere Fahrpläne kommen immer aktuell von einem Server der DB, auf deren Netz wir fahren.

Bis hierhin haben wir schon so einige Knöpfe gedrückt und Zahlen eingetippt, aber es geht noch weiter und nun folgt der für Ihre und meine Sicherheit wohl wichtigste Teil der Vorbereitungen: Die Bremsprobe. Nicht nur vor jeder einzelnen Zugfahrt, sondern sogar auch bei jedem Richtungswechsel und nach der Vereinigung zweier Zugteile ist eine solche Bremsprobe vorgeschrieben. Denn überlegen Sie einmal, welche Wucht dahinter steckt, wenn unsere tonnenschweren Züge mit 160 km/h über die Gleise rasen und wie entscheidend wichtig es ist, sich zu 100 Prozent auf die Bremsen verlassen zu können! Wir prüfen sowohl die elektro-dynamischen, leisen und verschleißfreien Bremsen, die wir regulär verwenden, als auch die Rückfallebene, die klassischen Druckluftbremsen. Sie hören das am Bahnsteig – das mitunter etwas nervige laute Zischen deutet auf die Bremsprobe hin und es entsteht, wenn Luft aus den Bremszylindern entweicht. Ist die Bremsprobe erfolgreich abgeschlossen, errechnen unsere modernen Züge automatisch die verfügbare Bremskraft, woraus sich unsere maximal erlaubte Geschwindigkeit ableitet.

So wie Flugzeuge eine sog. Blackbox – also einen Flugdatenschreiber – haben, besitzen unsere  Züge etwas ähnliches. Auch bei uns werden alle wichtigen Daten der Fahrt und unsere Bedienhandlungen aufgezeichnet. Dies dient nicht dazu, dass unser Chef sich einen Spaß daraus macht, uns zu kontrollieren, sondern natürlich auch der Sicherheit. Denn bei Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen ist es wichtig, den Fahrtverlauf anhand des Datenmaterials exakt rekonstruieren zu können. Hierzu öffnen wir als letzten Teil der Vorbereitungen einen Schrank gleich hinter der Glastür zwischen der 1. Klasse und unserem Führerstand, in dem es ein bisschen so aussieht wie auf der Brücke des berühmten TV- und Filmraumschiffes „Enterprise“. Zahllose Kabelbäume und Unmengen blinkender Dioden sind zu sehen und hier befindet sich auch das Eingabegerät, in das wir alle erforderlichen Zugdaten eintippen. Schrank wieder zu, Platz nehmen und als letztes dem Fahrdienstleiter im Stellwerk des Bahnhofs mitteilen, dass wir abfahrbereit sind. Sobald der uns unser Signal auf „Fahrt!“ stellt, geht es los. Es hat ein paar Minuten gedauert, aber dafür können Sie sich darauf verlassen, dass alles zu Ihrer Sicherheit gewissenhaft geprüft und erledigt wurde und nun ganz entspannt die Reise genießen – und dabei vielleicht Ihr Pausenbrot essen?

Ihnen eine gute Fahrt und bis zum nächsten Mal!

Ihr Lokführer

Gordon

4 Kommentare
Fahrgast
#4 — vor 1943 Tagen
Sehr guter Beitrag, sehr guter Stil. Danke für die interessante Aufklärung.
Gordon
#3 — vor 2012 Tagen
Hallo Christian,

das Lob ist angekommen und auch ich danke Dir dafür! Wenn wir Dir und anderen Besuchern hier im Blog mit den Videos meines Kollegen Levent und meinen Texten die manchmal ärgerlichen Bahn-Mysterien wenigstens transparent machen können, freut uns das sehr.

Bleib' uns gewogen und bis bald im Zug!
nordbahn
#2 — vor 2014 Tagen
Hallo Christian,
danke! Das nette Kompliment geben wir doch auch gern gleich an den Autoren, unseren Lokführer Gordon, weiter.
Christian G.
#1 — vor 2014 Tagen
Exzellenter Beitrag liebe Nordbahn!